Auch weiterhin möchten wir Euch/Sie weiterhin zum „getrennt-gemeinsamen“
Gebet und zur Bibelbetrachtung einladen. Mit dem Wort zum Sonntag wollen wir
unseren Zusammenhalt im Gebet vertiefen, wenn wir gemeinsam, egal an welchem
Ort, im Geiste Gottes versammelt sind.
Liebe Menschen in unseren Gemeinden!
Bei den Lesungen des kommenden Sonntags sticht ein Text
heraus.
Sowohl die erste Lesung aus dem 1. Samuelbuch Kapitel 3, Verse 3b–10.19 mit
der fast märchenhaften Berufungsgeschichte des jungen Propheten; als auch
der Evangelientext nach Johannes, Kapitel 1, Verse 35-42 mit den
eindrücklichen Sammlungen der ersten Jünger Jesu lesen sich sehr einprägsam,
einladend und schön, aber: Dahinter zurück fällt der Text der 2. Tageslesung
aus dem 1. Brief des Apostels Paulus an die Gemeinde in Korinth, Kapitel 6,
mit den (ausgewählten) Versen 13c–15a.17–20.
Ein Text, der uns mindestens herausfordert oder
vielfach sogar erschreckt, nicht nur unbedingt wegen seiner Unzuchtsverse
u.a., sondern vor allem auf Grund seiner häufig einseitigen Auslegung in der
Predigt- und Kirchengeschichte. Die Leibfeindlichkeit, problematische Lehren
in der Sexualmoral, Abwertung irdisch-leiblicher Güter uvm. sind (vermutlich
nicht nur bei mir) mit dieser und ähnlichen Textstellen verbunden.
Dabei trägt dieser Text und diese Aussage des Paulus
eine zutiefst positive Wertschätzung des Menschlichen in sich. Denn er
wertet unsere menschliche Natur und damit auch die menschliche Seite Gottes
unendlich auf, schreibt ihr einen besonderen Wert zu und muss so liebevoll
dem und der Nächsten gegenüber verstanden werden. In seiner einseitigen und
leibfeindlichen Auslegungs-geschichte und der daraus bei vielen ChristInnen
in den letzten Jahrzehnten folgenden Verdrängung solcher Texte wurde eben
diese positive Konnotation in den Hintergrund gestellt: Wir Menschen sind
Gottes Geschöpfe, sind Gott ebenbildlich, göttliches Antlitz tragend,
wertvoll, geliebt, gesegnet und geachtet, jede und jeder von uns.
Und vielleicht ist einfach die lange einseitige Sicht
dieses Textes in unserer Kirche mitursächlich verantwortlich für die
Strukturen und Machtstrukturen, die häufig keinen „normalen“ und gesunden
Umgang mit der Leiblichkeit des Menschen zuließen und zulassen. Und damit
wirkliche Feindlichkeiten gegenüber dem Menschen begünstigen, zu wirklicher
„Unzucht“ führen, namentlich Missbrauch, sexualisierte Gewalt,
Machtmissbrauch und Abwertung des einzelnen Geschöpfes Gottes. Somit bitte
ich an dieser Stelle um Entschuldigung für alle grauenhaften (Straf)Taten
von Seiten der Kirche, ihrer Vertreter und die Vertuschung, mangelnde
Aufklärung oder Empathie mit den Opfern und hoffe und bete mit Ihnen
zusammen für eine neue Form von Kirche, mit neuen Strukturen und mit
Konsequenzen für Täter und „Mittäter“ in und an allen Orten, auch und
besonders in unserem Bistum!
Ich möchte Sie aber nicht mit diesem schweren Themen in
diesem Wort zum Sonntag alleine lassen!
Wir haben am vergangenen Sonntag die Weihnachtszeit 1
liturgisch beendet, aber viele Menschen sind traurig, gerade jetzt in der
Zeit der Corona- Pandemie, dass die Weihnachtszeit nicht länger dauert, oder
lassen eh „wie früher“ die heimische Krippe bis zum Fest der Darstellung des
Herrn am 2. Februar stehen.
Daher erlaube ich mir hier einen Rückblick auf einen
Text und seine Auslegung, die mir dank Professor Stefan Freund und durch ihn
in einer nachweihnachtlichen WortGottesFeier am 3. Januar begegnet sind: Die
Erzählungen rund um das Weihnachtsfest brauchten einige Jahrzehnte in ihrer
Entstehungszeit.
Der Evangelist Lukas erzählt von der Geburt im Stall
und den Kindheitsgeschichten. Und Johannes machte eine Theologie daraus:
Jesus Christus ist das aus Gott hervorgegangene Schöpfungswort und damit
selbst Gott. Ein weiteres Zeugnis findet sich im ersten noch erhaltenen
lateinischem Kirchenlied. Erhalten ist es uns auf einem Papyrus aus dem
vierten Jahrhundert.
Da es dort mit ganz anderen Texten zusammensteht, vor
allem nichtchristlichen und solchen, die man eher für die Schule braucht,
kann man vermuten, dass schon einige Zeit in Umlauf war, ehe es jemand dort
notierte. Damit sind wir dann vielleicht noch in der Zeit der
Christenverfolgungen oder davor.
Da die meisten lateinischsprachigen Christen jener Zeit
im heutigen Tunesien und Algerien lebten, könnte es dort entstanden sein.
Die Strophen des Liedes beginnen mit jeweils mit einem Buchstaben in der
Abfolge des Alphabets. Dieser sogenannte Abecedarius findet sich schon in
einigen alttestamentlichen Psalmen. Erhalten haben wir die ersten zwölf
Strophen, bis zum Buchstaben M, also knapp die Hälfte. Folgendermaßen lautet
der Refrain:
Vater, du lenkst alles, ich bitte dich, erkenne uns an als Erben Christi –
Christus, aus dem Wort geboren, durch ihn erlangte das Volk seine Freiheit.
Ausgangspunkt ist, wie im Johannesprolog, Gottes Wort,
das in Christus als Mensch geboren wird. Bemerkenswert ist, was der Text
diesem Christus als Tun zuschreibt. Wie einst Moses dem Volk Israel, so
bringt Christus nun allen Menschen die Freiheit.
Strophe 1:
Geschwister, hören wir die Großtaten Gottes: Zuerst wählte Gott David aus.
Dieser unterwarf sich die zwölf Stämme Israels. Daraus leitet sich die
Abstammung meines Herren ab. Jesus Christus, den wir den Mann aus Nazaret
nennen, ihn haben alle Propheten prophezeit, ihn haben sie ausgerufen als
den Sohn des kommenden Gottes. Das kennen wir aus den Evangelien: Jesus
kommt aus dem Stamm Davids, er ist der Sohn Gottes, der da kommen soll, wie
die Propheten verkünden, und selbst Gott.
Strophe 2:
Gesegnet und mächtig ist der Vater selbst. Anna, die angeblich unfruchtbar
war, bringt Gott ein Opfer dar und findet so Heilung. Täglich hatte sie Gott
unter Tränen gebeten, gefleht hatte sie wegen ihrer Unfruchtbarkeit. Zur ihr
kam ein ausgesandter Engel. Sie sprach gerade ein Gebet, so fand der Engel
sie. Sie hörte die Stimme. Durch das Wort wurde sie 2 schwanger. So entstand
die Jungfrau Maria. Nun wird es unerwartet. Die Verfasser unseres Liedes
schöpfen hier aus dem sogenannten Protevangelium des Jakobus. Es handelt
sich um eine Art Prequel zu unseren kanonischen vier Evangelien, entstanden
nicht allzu lange nach dem Johannesevangelium. Im Mittelpunkt steht Maria
und die Frage: Woher kommt diese Frau? Schon die Schwangerschaft ihrer
Mutter Anna wird hier mit dem Eingreifen Gottes erklärt.
Strophe 3:
Da zeigte sich die Herrlichkeit Gottes, als ihre Eltern sie als Dreijährige
im Tempel darboten, denn das hatten die Eltern gelobt. Bei den Priestern
blieb sie dort, ihren Vater und ihre Mutter suchte sie nicht mehr, fest wie
eine Säule, so war sie unterwegs, und von den Engeln nahm sie Manna. Das,
was wir als Kindheitsgeschichte Jesu kennen, wird hier schon für Maria
erzählt: Sie wird von ihren Eltern in den Tempel gebracht und wächst dort
auf. In zwei eigenwilligen Bildern zeichnet der Text das Besondere dieses
Mädchens: stark und souverän ist sie, wie eine Säule, heißt es im Text, und
doch beweglich, denn sie geht umher, und Manna nimmt sie von den Engeln –
auch hier ist sie sozusagen auf Wanderschaft, wie das Volk Israel in der
Wüste.
Strophe 4:
Ein Mädchen von zwölf Jahren, dennoch preist man sie im Inneren des Tempels,
und Tag für Tag behüten die Engel sie so. Als an die Priester das Wort
erging über die Jungfrau Maria: „Einem Bräutigam gebe man sie“, warfen kluge
Männer das Los. So zeigte es sich, dass sie Josef gegeben wurde. Wichtig ist
dem Text offensichtlich eines: Wenn Maria mit Josef verheiratet wird, dann
ist das kein familiäres Arrangement, sondern es ist ein Heilsereignis. Maria
gehorcht nicht einem patriarchalen Regiment von Menschen, sie folgt dem
Willen Gottes.
Strophe 5:
Sie gingen beide aus dem Tempel, als Paar, traurig begann Josef nachzudenken
über das Mädchen, das durch das Los zu ihm gekommen war. Bei sich dachte er
sich: „Wenn es Gott so gefällt, was soll ich tun? Doch das Mädchen, das der
Herr liebte, ist mir nun einmal gegeben worden, dass ich sie behüte“, sagte
er. Hier erfahren wir: Josef versteht das Ereignis genauso. Maria ist das
herausgehobene „Mädchen, das Gott liebte“, und er ist für sie
verantwortlich. Die Geschlechterrollen der Zeit sind außer Kraft gesetzt.
Strophe 6:
Es geschah, dass sie allein an eine Quelle kam. Dort hörte sie eine
Engelsstimme und sah niemanden. Und als sie von dort wegging, trug sie das
Wort in ihrem Leib. Als sie ein Zucken durchfuhr, begann sie sich zu
wundern. Bei der Rückkehr sagte sie so zu sich:
„Ich bin die Magd Gottes“, rief sie.
Wieder rückt unser Text die starke junge Frau in den Mittelpunkt: Während im
Matthäusevangelium ein Engel erscheint und ihr erklärt, was geschieht, 3
geht es hier nur um sie. Sie wächst in die Erkenntnis ihrer Rolle.
Strophe 7:
Maria war voll Freude an allen Tagen
Es geschah, während das Paar eine
Reise machte, da kamen sie beide aufs Land. Doch da sagt sie: „Ich bedrängt
mich, Josef, was ich in meinem Leib trage, will herauskommen.“ Sie sieht
sich um nach einem Ort, erblickt eine Höhle, dunkel und finster, so geht sie
dorthin. Bald konnte man die Stimme eines Kindes hören. Man sah dort ein
großes und glänzendes Licht, ein Zeichen vom Himmel erschien,es hieß, dass
Christus geboren worden ist. Und auch in dieser Strophe handelt allein Maria
– Josef, die Reise nach Betlehem, der fehlende Platz in der Herberge, all
das tritt zurück.
Maria erscheint souverän und mutig, sie weiß, was zu
tun ist. Das eigentliche Geburtsgeschehen verfolgen wir im Text aus der
Perspektive des draußen wartenden Vaters: Das Schreien des Kindes zeigt die
Geburt Jesu an. Erst dann, nach diesem elementar-natürlichen Akt, der das
Muttersein so hervortreten lässt, folgen die Zeichen am Himmel. Nun schließt
sich die Geschichte von den Sterndeutern an, die ich hier aus Platzgründen
auslasse, denn sie ist fast so erzählt, wie wir sie aus dem
Matthäusevangelium kennen.
Strophe 11:
Das Kind versteckte sich mit der Mutter. Doch ein Engel war gesandt worden
und sagte im Traum: „Steh auf, Josef, und nimm das Kind; geh weg nach
Ägypten und bleibe dort. Herodes sucht das Kind“, spricht er, „damit die
Schrift der Propheten erfüllt wird: ‚Aus Ägypten werde ich meinen
Auserwählten rufen; bereitet ihm gerade Wege.‘“ Wieder fällt auf, welch eine
tatkräftige Maria der Text zeichnet: Sie ist es, die sich mit dem Kind
versteckt. Josef handelt dann erst auf ausdrücklich Anweisung im Traum –
damit sich die Prophezeiung erfüllt.
Nun folgt gedanklich ein großer Sprung zur Hochzeit von
Kanaan – aber die Abfolge der Buchstaben von L zu M zeigt, dass nichts
Wesentliches ausgefallen sein kann. Dann bricht der Text ab. Eine klare
Tendenz des Textes ist nicht zu verkennen: Maria wird herausgehoben. Sie ist
aktiv, sie ist tatkräftig, sie ist mutig und entschlossen, sie ist souverän
und eigenständig. Sie wird durch eine eigene Geburtserzählung herausgehoben.
Natürlich weisen all diese Erzählelemente hin auf das
alles Gewöhnliche Übersteigende in der Person Christi. Und doch: Das Werden
dieser Person ist hier ohne dieses konsequent als solches erzählte Weibliche
nicht denkbar.
Die Männer, also Josef und die unterschiedlichen
Amtsträger, die vorkommen, tun im Text bestenfalls kleinschrittig, was ihnen
konkret gesagt wird. Das ist gut und wichtig und bringt die Heilsgeschichte
voran.
Es sind aber die Frauen, Anna und Maria, die verstanden
haben, worum es geht, und danach handeln. So merkwürdig und fern der Text an
sich ist – er hat etwas sehr Wichtiges gesehen.
Einen gesegneten Sonntag wünschen
Markus Boos und Stefan Freund
Hier noch ein
paar Informationen:
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